Interview mit dem Künstler SONE, der mit Kindern und Jugendlichen eine Fassade in der Thermometersiedlung gestaltet


2023 Graffitiaktion thermo 2
Graffiti-Künstler SONE in Aktion.

Auf dem Kiezfest im Mai veranstaltete der Quartiersrat einen Graffitiworkshop für Kinder und Jugendliche mit dem Ziel, sie in die künstlerische Gestaltung der Thermometersiedlung miteinzubeziehen. Aus dieser Idee erwuchs mehr. Der Workshop bildete den Auftakt für ein Graffitiprojekt, welches in Kooperation mit dem Evangelischen Jugendhilfeverein e.V. durchgeführt und über die HOWOGE finanziert wird. Am15. September wird das Projekt feierlich eröffnet. Für die Durchführung konnte der Berliner Graffitikünstler SONE gewonnen werden. Seine Zusage für das Projekt freut uns außerordentlich, da er nicht nur ein guter Sprayer, sondern auch am Rand der Thermometersiedlung aufgewachsen ist und einen persönlichen Bezug zu diesem Ort und den hier lebenden Menschen hat.
Weil wir wissen wollten, was ein Graffitikünstler beschäftigt, wie er zum Graffiti gekommen ist und warum dieses Projekt ein „Herzensprojekt“ ist, haben wir SONE am 29. August interviewt.


Lieber SONE, schön, dass Du Dir Zeit nimmst, mit uns über das fantastische Projekt zu sprechen.

Wann und wie bist Du zum Sprayen gekommen?
Mit dem Sprayen habe ich 1993 angefangen. Da war ich 13 Jahre alt.

Gab es ein Vorbild?
Ich war damals noch ganz klein, da kamen Sprayer ans Kinder- und Jugendhaus Albrecht Dürer. Da waren alle Größen aus Berlin, die da gesprüht haben. Das war für mich sehr beeindruckend und so habe ich auch mit dem Sprayen angefangen. Später habe ich da auch mal einen Kurs gegeben.

Von der Idee, auf die Fläche. Wie hast Du Deine ersten Ideen umgesetzt?
Vom Abgucken und Machen. Man hat sich zwar vieles selbst beigebracht oder sich unter Freunden ausgetauscht, aber alles in Eigenregie. Dann habe ich eine Ausbildung zum Glaser und Glasdesigner gemacht. Aus dieser Zeit nimmt man dann auch ganz viele Sachen, wie bspw. Farblehre und das Gefühl für Linien mit. Auch bin ich mit Jugendstil,- Fries,- und Spiegelarbeiten in Kontakt gekommen und habe gelernt diese durchzuführen. Es gibt so viele verschiedene Arten und Techniken. Zum Beispiel Airbrush mit Airbrushstiften, Sandstrahlen auf Glas. Man entwickelt viele Kompetenzen, die man nutzen und einbauen kann. Aber am liebsten mag ich Buchstaben, keine Figuren.

Gibt es Vorzeichnungen oder gehst Du direkt auf die Fläche? Was sind Deine Themen? Was inspiriert Dich?
Ja, Vorzeichnungen gibt es auch. Das habe ich dann aber irgendwann mit ungefähr 22 oder 23 Jahren abgelegt. Jetzt spraye ich nur noch direkt auf die Wand. Irgendwann entwickelt man eben ein optisches Gedächtnis. Man kann sich visuell viele Dinge vorstellen. Ich habe ein großes Vorstellungsvermögen. Ich kann im Bus fahren und mir die ganze Zeit irgendwas vorstellen. Ich kann dann im Kopf die Buchstaben drehen, eine Linienführung durchgehen und mir wie so eine Art Computer alles selber zusammenbasteln. Und plötzlich habe ich es dann selber so vor Augen. Das ist ja so als Künstler. Man malt im Kopf ja einige Sachen, man hat ja so seine eigenen Ideen.
Meine Schriftzüge sind sehr spitz und aggressiv, eine schöne Linienführung. Das ist Graffiti. Ich bin jetzt keiner, der sich vor den Supermarkt stellt und Bananen und Äpfeln an die Wand pinselt. Denn eigentlich male ich keine Auftragsarbeiten und immer nur das, was ich so selbst im Kopf habe. Auftragsarbeiten mache ich nur für gemeinnützige Einrichtungen oder für Kinder. Aber ich mache keine Auftragsarbeiten für einen Konzern.
Die eigene Linienführung ist so eine Sache. Mein eigener Style, meine eigene Unterschrift, das ist wichtig. Als ich einen Graffitikurs für Jugendliche gegeben habe, haben mich viele gefragt, wie kann ich meinen eigenen Style malen? Wenn du deinen eigenen Style malen willst, dann musst du die Augen zu machen und dir vorstellen, wie das Schönste wäre, was du dir vorstellen kannst. Und dann musst du deine eigenen Ideen und ein Gefühl haben. Graffiti drückt ja ein Gefühl aus, was man hat. Wie bist du drauf? Bist du bspw. aggressiv? Das ist so ein Charakter, den man sich gibt, wie ein Schauspieler. Und sagen wir mal der Sprayer heißt Jack. Jack lebt mit seinem Namen und das sind dann die Buchstaben, auf denen er sich total austobt. Der gutgelaunte, der schlechtgelaunte oder der, der aggressiv ist. Der Buchstabe soll dann stachelig oder spitz sein. Jeder wie er mag. Graffiti ist ja so eine Art Battle. Aber ein friedliches Nebeneinander. Jeder sprüht gegen jeden. Es geht einfach darum, die Karten auf den Tisch zu legen. Wie beim Breakdance. Man hat so ein paar Moves und dann ist der andere mit den Moves dran. Man probiert ein Bild vorzulegen und dann legen die anderen nach. So sieht das Game Graffiti aus.
Das hat sich in Berlin und generell weltweit in den letzten 20 Jahren sehr verändert. Es ist sehr kommerziell geworden. Das hat diesen Hauch und Wert von Kreativität. Es gibt so viele Leute, die Züge bemalen und den Kick suchen. Aber da fehlt bei ganz vielen Sachen der von Grund auf künstlerische Anspruch. Adrenalin hat wenig mit Graffiti zu tun. Graffiti ist was Schönes, soll etwas darstellen. Es hat nichts mit Gangs zutun. Viele behaupten das. Es hat mehr damit zu tun, was man künstlerisch kann. Durch dein Können kannst du glänzen. Es geht nicht darum stark zu sein, Buchstaben auf die Wand zu sprayen und jemanden Angst zu machen.

Was ist Graffiti für Dich?
Graffiti ist ein Ausdruck. So ein Ventil, wo man sich ausleben kann. Es ist gewaltfrei, man kann kreativ sein. Durch Können, nicht durch Stärke. Das heißt, hier bin ich. Du musst ja auch in der S-Bahn fahren und dir Werbung angucken. Wenn du dein Können nicht zeigst, dann gehst du in der Gesellschaft unter. Einmal glänzen im Leben. Jeder hat auch eine Möglichkeit, seine kreative Art zu zeigen.
Schau mal, hier ist mein Bild und dann malt ein Anderer ein noch besseres Bild. Aber eben auf eine kreative Art, auf einer guten Basis. Es gibt Jugendliche, die setzen sich abends auch hin und sind kreativ. Die haben aber auch Erfolgserlebnisse. Manche werden dann Künstler, Grafiker. Ich mach das alles nur für mich. Ich brauch das nicht, das Imponiergehabe. Ich mach das für mich selber.

Wie bist Du auf den Namen SONE gekommen?
Den habe ich mir ausgedacht, als ich 13 war. Jeder will ein Pseudonym haben. Du willst ja anonym bleiben. Also suchst du dir einen Namen, der cool klingt. Wie Robin Hood. Das ist so eine Buchstabenkombi, die ich cool finde. Wie Jack, das hört sich cool an.

Hast Du hier in der Thermo was gesprayt?
Nein, hier in der Thermo selbst noch nicht.

Du kommst aus der Thermo? Kannst Du ein wenig darüber erzählen?
Ja, ich bin hier aufgewachsen, in der Swatlostr. In der Nähe von Mc Donalds. Hier hatte ich meine Freunde. Giesensdorfer war meine Grundschule.


Überlegen, wie es werden soll. Mehrere Entwürfe standen für die HOWOGE-Wand zur Auswahl.

Was sind heute Deine Themen?
Ganz unterschiedlich. Ich will seit 5 Jahren ein Häuserbild mit einem Jungen aus Syrien machen. Der Junge war 3 Jahre alt, der lag auf einer Trage bei Ärzte ohne Grenzen. Er wurde von einer Bombe getroffen und er hat einen Satz gesagt – und das werde ich nie vergessen – ich werde Gott alles erzählen, was ihr mit mir gemacht habt. Das war ein extremer Protest von einem Dreijährigen. Und dann ist er gestorben. Das würde ich gerne umsetzen. Das weckt auch die Leute auf. Es ist so schrecklich, was Kriege mit Kindern machen. Wenn man ein Kind ist, sollte man frei aufwachsen, ohne dass man sich Gedanken über den Krieg macht. Und dieses Projekt ist mir sehr wichtig. Das hat mich sehr bewegt.

Die Wand (gegenüber des Kiezgartens), die Du nun gestalten wirst, ist auf einer anderen Ebene ebenfalls tragisch.
Ja, na klar. Ich habe ja mitbekommen, was da alles so passiert ist. Ich kenne die Angehörigen und es ist sehr traurig, dass ein Jugendlicher sein Leben lassen musste…Wegen so einer Banalität…Das ist unfassbar. Hier ist jemand durch Gewalteinwirkung gestorben. Da gibt es keinen Diskussionsspielraum. Ich finde es gut, dass wir jetzt ein bisschen was an dieser angrenzenden Wand machen, um mal wieder ein bisschen Leben reinzubringe und das Traurige aus den Leuten herauszuholen. Natürlich ist das unfassbar traurig, aber man kann es nicht mehr zurückdrehen. Und jetzt habe ich diese Wand hier. Es ist nicht von Vorteil, jetzt das Gesicht des Verstorbenen hier auf die Wand zu malen. Das ist eine schmerzvolle Erinnerung. Ich würde es gut finden, für die Kinder etwas zu machen. Wie gesagt, meine Idee war, ein paar Drachen, ein paar Kindersachen da dran zu sprayen. Ein paar gute Comicfiguren. Das wäre schon cool. Wenn jetzt die Kinder zum Arzt gehen oder von der S-Bahn nach Hause kommen, dann gehen und fahren sie jeden Tag an dieser Wand vorbei. Die freuen sich über einen kleinen Zauberer, einen Drachen, der niedlich aussieht und einen Wiedererkennungswert hat. Das soll vermitteln, mein kleiner Drache, hier fühle ich mich zuhause. Einfach was, was etwas Vertrautes ausstrahlt. Das ist Heimat, das ist mein Zuhause.

Du sprayst in der ganzen Stadt?
In der ganzen Stadt. Wir machen sehr aufwendige Sachen. Das sind Orte, zu denen ich einen Bezug habe. Heute ist es so, wenn du in der U-Bahn fährst, schauen die Leute nicht mehr raus, in die Stadt, sie sind auf Insta oder gucken auf ihr Handy. Von 80 Leuten sind 70 Leute bei ihrem Handy. Die Leute gucken dich nicht mehr an.
Mein Aspekt ist, dass man was Buntes und etwas Qualitatives sieht, nicht nur drei Buchstaben in Silber. Die Leute sollen herausschauen und sagen: wow, wow, wow. Wir wollen uns nicht über eine Gang profilieren. Es muss ein riesengroßes Bild mit einem Charakter sein. Etwas Anspruchsvolles. Das packt mich!
Für die Jugendliche muss es in Berlin mehr gute legale Flächen geben. Ich sage den Jugendlichen im Graffitikurs, dass sie nicht irgendetwas, ein bla, bla kritzeln sollen. Man kann auch nicht einfach rausgehen und boxen, man muss es erstmal lernen. Wie man gute Buchstaben, den Farbaufbau und Farbverlauf macht. Diesen Aspekt der Kunst möchte ich mehr betonen.

Kann man mit Graffiti Geld verdienen?
Ich mache das nur als Hobby. Ich mache auch bei Vernissagen mit, aber ohne Hype. Ich habe 2014 in Paris bei einer Ausstellung mitgemacht, in der die 22 besten Streetartists gezeigt wurden. Da bin ich auch mit dabei gewesen. Mit Thierry Noir habe ich auch eine Ausstellung gemacht, der macht aber eher PopArt.
Ich bin früher ein total hyperaktives Kind gewesen, durch das Zeichnen hat sich das verwachsen. Sport hat mir eine Menge geholfen, aber auch das Zeichnen. Da habe ich auch gesehen, was ich kann. Man müsste eigentlich eine Zeichenschule für hyperaktive Kinder gründen.
QM Thermometersiedlung Logoleiste lang

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